Menü
Kontaktieren Sie uns bei Fragen zu Video-Vorträgen und Webinaren

GIER - Beststellerautor Marc Elsberg mit neuem Buch und Vortragsthema

19.02.2019

Geht es in unserer Gesellschaft gerecht zu? Schaffen Wettbewerb und Konkurrenz, „Ich -“, „Amerika -“ oder „Deutschland zuerst" mehr Wohlstand, oder brauchen wir doch eine andere Strategie? Wie entscheidet man richtig? Und warum? Und was hat das alles mit einem Glücksspiel und den Arbeiten von Physikern in London zu tun?

Antworten darauf finden Sie in Marc Elsbergs neuem Roman „GIER - Wie weit würdest du gehen?“, der am 25. Februar erscheint. Mit uns hat der Autor vorab über das Thema seines neuen Buches gesprochen. Das ganze Interview finden Sie hier:


Für Ihren neuen Thriller haben Sie sich mit dem Thema Kooperation und Konkurrenz beschäftigt. Können Sie uns erklären, worum es geht?

Wie schon Blackout, Zero und Helix wird auch der nächste Roman reale wissenschaftliche Inhalte inszenieren. Grundlage des neuen Buches ist dieses Mal ein mathematischer Fehler, dessen Behebung in unserem Verständnis von menschlichem Zusammenleben, Gesellschaftsordnung und Wirtschaft zu einem gedanklichen Paradigmenwechsel führt: von der Denkwelt des Wettbewerbs hin zur Kooperation.

Können Sie uns noch ein wenig mehr über den genannten mathematischen Fehler erzählen?

Basis der Geschichte sind die Arbeiten einiger Physiker und Mathematiker, die einen fast 400 Jahre alten Fehler in den Modellen menschlichen Entscheidens und damit in einer der Grundsäulen der modernen politischen und ökonomischen Theorien entdeckt und behoben haben.
Dieser Fehler führt auch in den gegenwärtigen politischen Modellen wie im dominierenden neoklassischen Wirtschaftsmodell zu diversen Problemen wie mangelndem gesellschaftlichen Zusammenhalt und wachsender Ungleichheit, unerwarteten Krisen, falscher Risikobewertung, hat aber auch ganz spezifische Folgen, etwa bei Versicherungen oder das Equity Premium Puzzle. Mangels echter Alternativen bestimmen diese Modelle jedoch das politische und wirtschaftliche Handeln ebenso wie das persönliche und damit die Gestaltung moderner Gesellschaften. Diesen Wissenschaftlern gelingt mit ihren Arbeiten nichts Geringeres, als das vorherrschende ökonomisch-soziale Narrativ von Jeder-erst-mal-für-sich, Wettbewerb, unregulierten Märkten, wenig Staat etc. auf den Kopf zu stellen. Sie beweisen erstmals mathematisch, dass für Wachstum – auch in wirtschaftlicher Hinsicht – Kooperation besser ist als Nicht-Kooperation, also Wettbewerb.
Es ist ein wenig wie bei den geozentrischen Weltbildern bis ins 17. Jahrhundert. Sie waren in einer elementaren Grundannahme falsch – die Erde als Mittelpunkt des Universums –, doch komplizierte Modelle ermöglichten trotzdem einigermaßen zuverlässige Berechnungen. So zuverlässig, dass sie beim Aufkommen des heliozentrischen Weltbildes – dem zufolge die Sonne den Mittelpunkt des Sonnensystems bildet – genauer waren als das neue, richtige, aber noch nicht ausreichend ausgearbeitete Modell. Eine Rakete auf den Mond hätten die alten Modelle aber nie gebracht. Das gelang erst mit dem korrekten Modell.
Es geht dabei natürlich nicht nur um Wissenschaft und Fakten, sondern vor allem auch um Macht, Moral und gesellschaftliche Deutungshoheit. So wie einst zwischen Galilei und der Kirche.

Wir sollten also das Rad der ökonomischen Theorien 400 Jahre zurückdrehen? Da gäbe es doch sicher einigen Widerstand.

Im Gegenteil, wir sollten einen 400 Jahre alten Fehler beheben und damit politische und ökonomische Theorien auf den gegenwärtigen Stand der Wissenschaft und in die Zukunft bringen. Das neue heliozentrische Weltbild bekämpften auch die damaligen Machthaber – die Kirche – mit allen Mitteln, weil es ihre Deutungshoheit über Weltbild und Gesellschaftsordnung bedrohte. Ähnliches lässt sich in heutigen Debatten beobachten. Erst der Beweis des heliozentrischen Weltbilds setzte eine wissenschaftliche und gesellschaftliche Revolution frei - und beendete die Vormachtstellung der Kirche. Warum sollte sich ein solcher Prozess nicht wiederholen?

Was hat Sie zu dem Thema inspiriert? Warum ist es Ihnen so wichtig?

Inspiriert haben mich einerseits die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte, andererseits natürlich die erwähnten wissenschaftlichen Arbeiten, die spannende neue Ansätze liefern.
Die Geschichte in meinem Buch greift damit die heißesten Diskussionsthemen der Gegenwart auf: Gerechtigkeit, Fairness, Polarisierung und wie wir unsere Gesellschaften gestalten sollen und wollen.
Die präsentierte Alternative lautet freilich nicht, wie jetzt mancher glauben wird, Kommunismus oder etwas Ähnliches. Sie gründet vielmehr auf Verschiedenheit, Diversität und Freiheit. Sie verteufelt auch nicht den Kapitalismus und seine postulierten Antriebskräfte Eigeninteresse und Gewinnmaximierung. Im Gegenteil, sie zeigt mathematisch, dass man gerade aus Eigeninteresse und im Sinne der Gewinnmaximierung den Gewinn der anderen steigern sollte. So gesehen gelingt dem Modell ein Paradoxon: eine Alternative zum Kapitalismus zu liefern und gleichzeitig, was auf der anderen Seite des gesellschaftliche Spektrums diskutiert wird, »den Kapitalismus zu retten«.
Gleichzeitig legt es aber auch eine wissenschaftliche, mathematische Basis für einen starken Sozialstaat, wobei dieser nicht auf Nächstenliebe oder sozialem Gewissen begründet sein muss, sondern darauf, dass er nachweisbar der bessere Deal für alle ist. Ich nenne ihn statt Wohlfahrtsstaat daher Wohlstandsstaat.
Die Alternative macht im Übrigen Wettbewerb auch nicht überflüssig oder per se schlecht. Sie weist ihm nur eine neue Rolle zu.

Die Protagonisten in Ihrem Roman beschäftigen sich unter anderem mit grundlegend neuen ökonomischen Modellen. Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen? Mit wem haben Sie sich ausgetauscht?

Eigentlich geht es um weit mehr als nur ökonomische Modelle. Zum Beispiel auch um Entscheidungstheorien und Risikoabschätzung. Und sogar um Biologie und noch mehr! Deshalb habe ich mich mit politischen und ökonomischen Theorien, aber auch mit soziologischen, psychologischen und anderen naturwissenschaftlichen Konzepten auseinandergesetzt.
Irgendwie hat die Geschichte auch mich gefunden. Schon bevor ich mich für sie entschied bzw. bevor ich auf die wissenschaftlichen Arbeiten stieß, die den Anstoß dazu gaben, unterhielt ich mich viel mit zahlreichen Personen aus den verschiedensten Bereichen – Gesellschaft, Politik, Diplomatie, Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie –, und von vielen kamen Impulse und Anregungen, deren Bedeutung ich oft erst im Kontext meiner Geschichte erkannte oder deren ursprüngliche Bedeutung sich dadurch völlig veränderte. Meine wichtigsten fachlichen Gesprächspartner in der Intensivphase des Recherchierens und Schreibens waren natürlich die Wissenschaftler, deren Arbeiten die Grundlage des Thrillers bilden.

Was hat Sie bei der Beschäftigung mit dem Thema am meisten überrascht?

Zum Ersten fasziniert mich, dass wir hier von sehr grundlegenden wissenschaftlichen Konzepten in der universellen Sprache der Mathematik sprechen, die in vielen verschiedenen Bereichen wirksam werden. Sie stellen beispielsweise grundlegende gesellschaftspolitische Konzepte zur Diskussion, wie etwa das Subsidiaritätsprinzip, nach dem mehr oder minder alle westlichen Staaten und die EU organisiert sind.
Im wirtschaftlichen Bereich reicht das von der Entscheidungstheorie und Risikobeurteilung über makro- und mikroökonomischen Themen bis hin zu ganz konkreten Anwendungen, etwa in der Finanz- und Versicherungsbranche, bei der Frage der Zinssetzung durch Zentralbanken, der Theorie der Firma, der Preisfindung und mehr.
Zum Zweiten überraschte mich der Umstand, welche gewaltigen Konsequenzen ein – auf den ersten Blick – kleiner konzeptueller Unterschied haben kann. Es ist ein wenig wie beim Bau des schiefen Turms von Pisa. Wenn nur ein kleiner Teil des Fundaments schlecht ist, wird das ganze Gebäude darüber schief.
Zum Dritten, und da geht die Analogie zum schiefen Turm weiter, ist bemerkenswert, mit welcher Beharrlichkeit das Theoriegebäude weiter auf dem falschen Fundament gebaut wurde, obwohl dieses sich bereits als problematisch herausgestellt hatte. In Pisa senkte sich das Fundament ja schon während des Baus. Doch statt den Bau zu stoppen, abzureißen, das Fundament zu verbessern oder den Turm woandershin zu stellen, versuchte man bei den nächsten Stockwerken immer stärker eine Korrektur Richtung Senkrechte. Der schiefe Turm wurde dadurch nicht nur schief, sondern auch krumm!
Das mag bei einem alten Turm in Pisa überaus pittoresk sein. Bei politischen, ökonomischen und psychologischen Modellen, die über das Schicksal von Milliarden Menschen entscheiden, ist es ein Drama.

In Ihrem Buch entwickeln Sie eine Utopie, es geht um Fairness und Gerechtigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft. Welche Hoffnung verbinden Sie damit? Wie können wir alle dazu beitragen?

Ich entwickle keine Utopie, ich stelle lediglich eine Rechnung mit weitreichenden Auswirkungen vor. Ob daraus eine Utopie wird oder eine Dystopie, hängt wie immer davon ab, was wir damit anstellen.
Fairness und Gerechtigkeit sind vor allem zwei Begriffe, über deren Bedeutung man trefflich streiten kann. Religionsstifter, Philosophen, Politiker, Unternehmer, Arbeiter und Stammtische tun das seit Jahrtausenden und bis heute ohne zufriedenstellendes Ergebnis. Geschweige denn, dass man zu einem gemeinsamen Ergebnis käme, welche Maßnahmen oder Zustände denn nun fair oder gerecht sind.
Ich überlasse es daher den Leserinnen und Lesern, darüber zu sinnieren, ob und wie man mit diesen Begriffen hantieren will.
Mit den präsentierten Ansätzen haben wir jedenfalls etwas ganz Neues: ein Modell, wie Menschen entscheiden, und daraus ergibt sich unter anderem der mathematische Beweis, dass Kooperation vorteilhafter ist als Nichtkooperation vulgo Wettbewerb, Konkurrenz, Konflikt. Im Gegensatz zu beliebig interpretierbaren Begriffen wie Fairness oder Gerechtigkeit haben wir hier eine handfeste mathematische Formel, mit der man arbeiten und planen kann.

Wie wird die Wirtschaft, die auf dem Wettbewerbsprinzip beruht, Ihrer Einschätzung nach auf Ihr Buch reagieren?

(Lacht) Manche werden wahrscheinlich reagieren wie die Kirche damals bei Galilei oder glauben, der Elsberg hätte lieber bei der Technologie bleiben sollen. Ich denke jedoch, mehrheitlich wird die Wirtschaft positiv reagieren. Gesellschaft und Wirtschaft sind ja per se zuerst einmal Kooperation, jeder Handel, jede Arbeitsteilung in Firmen und der Gesellschaft – all das ist Kooperation. Das verlieren wir nur oft aus den Augen. Und, wie gesagt, Wettbewerb wird nicht obsolet, er bekommt nur eine neue Rolle im System.
Zudem geht es ja nicht nur um Kooperation und Konkurrenz. Die Basis des Ganzen bildet ein Modell darüber, wie Menschen entscheiden, wie sie Risiken besser einschätzen und bewerten können. Das ist in unser aller Alltag, aber natürlich besonders auch in der Wirtschaft von elementarer Bedeutung.


VITA
Marc Elsberg, geboren 1967, war Strategieberater und Kreativdirektor für Werbung in Wien und Hamburg sowie Kolumnist der österreichischen Tageszeitung »Der Standard«. Mit seinen internationalen Bestsellern BLACKOUT, ZERO und HELIX etablierte er sich auch als Meister des Science-Thrillers. BLACKOUT und ZERO wurden von »Bild der Wissenschaft« als Wissensbuch des Jahres in der Rubrik Unterhaltung ausgezeichnet und machten ihn zu einem gefragten Gesprächspartner von Politik und Wirtschaft. In seinem neuen Buch widmet er sich den Themen Wettbewerb und Kooperation.